Kurzbiographien Mülheimer Frauen

Der Anteil der Frauen im deutschen Widerstand wird in der Literatur auf ca. 15-20 Prozent der gesamtbeteiligten Personen geschätzt; diese Prozentzahl orientiert sich an der Zahl der festgenommenen Personen insgesamt. Frauen waren in der Regel im Organisationsbereich tätig und schlossen die Lücken, die bei der Inhaftierung der Männer entstanden waren.

Frauengeschichte aber ist Alltagsgeschichte, insofern muss Privates auch als geschichtlicher und politischer Faktor anerkannt werden. Die spezifischen Lebenszusammenhänge – die Verantwortung für die individuelle und gesellschaftliche Reproduktion können auch spezifische Widerstandsformen hervorgebracht haben, die bislang noch nicht erforscht sind.

Persönliche Berichte von Mülheimerinnen sind in der Dokumentation veröffentlicht (1933-1945 Widerstand und Verfolgung in Mülheim an der Ruhr).
Die folgenden Kurzbiographien können nur Rahmendaten aufzeigen.

Anna Bergmann Anna Bergmann

verheiratet mit Wilhelm Bergmann, 4 Kinder, wohnhaft in Speldorf. KPD-Mitgliedschaft. 1933 Kandidatur für das Stadtparlament; Verhaftung, „Inschutzhaftnahme“, mehrmalige Hausdurchsuchungen, mehrmalige Verhaftungen ihres Mannes Wilhelm Bergmann. Bergmanns werden im Krieg ausgebombt.
Zwei Söhne werden zum Kriegsdienst eingezogen,schwere Erkrankung von Anna Bergmann.
1944: Anna Bergmann wird erneut inhaftiert, Entlassung nach 14 Tagen.

 

 

 

Käthe Metes Käthe Metes

verheiratet mit dem Kommunisten Dietrich Metes, zwei Kinder, wohnhaft in Styrum, organisiert im Kampfbund gegen den Faschismus.
1.3.1933: Verhaftung von Dietrich Metes („Inschutzhaftnahme“ für 3 Monate),
1934: Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat.
1938: Entlassung, später dann Einlieferung ins KZ.
Käthes Sohn ist Mitglied der Edelweißpiraten.
Widerstandsarbeit: Zusammenschluss von ca. 15 Frauen in Styrum, regelmäßige Treffen, Informationsaustausch, Besuch der inhaftierten Männer, Flugblattverteilung, Geldsammlungen, Unterstützung von Kindern von in Not geratenen Menschen.

 

Martha Hadinsky Martha Hadinsky
wohnhaft in Rumbachtal
Arbeit für die KPD; Aufgabe: Aufbau einer antifaschistischen Jugendorganisation
Verhaftung und Verurteilung zu 15 Jahren Zuchthaus
Entlassung aus dem Zuchthaus nach 8 Jahren wegen schwerer Erkrankung (TBC)
1961: Anklage wegen Arbeit für die KPD, Verurteilung zu 1 Jahr und 3 Monaten Haft. Landesrentenbehörde stellt Zahlungen ein und fordert Rückzahlung der geleisteten Beträge (Wiedergutmachungsrente), wenige Tage vor Pfändung Selbstmord von Martha Hadinsky

 

 

Johanna GaudigJohanna Gaudig

geb. 1884, verh. mit Otto Gaudig, 5 Kinder, wohnhaft im Uhlenhorst, Betrieb einer Gartenwirtschaft
KPD-Mitgliedschaft
Gaudigs waren in den Reorganisationsversuch der KPD mit einbezogen. 1943: Verhaftung von Otto Gaudig
Verhaftung von Johanna Gaudig und ihrer Tochter Bertha Gemüth, Verurteilung zu 3 1/2 Jahren Gefängnis wegen Nichtanzeige eines „hochverräterischen Unternehmens“
Nach der Befreiung: Entlassung aus dem Gefängnis

 

 

Selma BrohnSelma Brohn

als Jüdin Zeitzeugin der Vernichtungsaktionen gegen die jüdische Bevölkerung;
geb.: 1897, verheiratet, lebte in von Nazis so bezeichneter „Mischehe“;
Opfer der Judenfeindlichkeit im III. Reich
Beschmutzung und Beschimpfung, unberechtigte Anschuldigungen, häufige Ladung der Kripo
an der Hauswand steht „Hängt Juden auf!“;
Reichspogromnacht: eine Fensterscheibe wird eingeschlagen, Nachbarn helfen Selma Brohn;
Verbot für Selma Brohn, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weniger Lebensmittelkarten, keine Kleiderkarten;
Verhaftung 1939, nach zwei Tagen Freilassung, erneute Verhaftung aufgrund falscher Beschuldigungen, daraufhin wieder Entlassung, Verbot, den Luftschutzkeller zu betreten;
1942: Selma Brohn wird abtransportiert, zunächst nach Halle, dann Weiterfahrt bis hinter die Leuna-Werke, im Schlachthaus von Keutschen: 6 Monate lang Näharbeiten, dann Abtransport nach Theresienstadt in einem Viehwagen;
In Theresienstadt: Hundert-Tage-Arbeit – Steine schleppen, Sand wegfahren, Vergasungsanlage anlegen, Arbeit im „Kartoffelkeller“;
Zeugin des brutalen menschenverachtenden Alltags im KZ;
Abberufung zur Arbeit in der Apotheke durch Frau Dr. Springer. So konnte Selma Brohn überleben.
Nach der Befreiung: Entlassung am 17. Juni 1945

Familiengeschichte
Beschlagnahme des elterlichen Hauses durch die Nazis, der Vater wird totgeschlagen
zwei Schwestern werden getötet, eine in Polen durch Genickschuss, die andere in Auschwitz vergast, die dritte Schwester kann entkommen und lebt in England. Selmas Bruder flüchtet in die Tschechoslowakei und entkommt von dort aus nach Israel. Der Onkel kommt mit seiner Frau und seinem Sohn in Theresienstadt ums Leben, Selma Brohn's Vetter wird mit Frau und Sohn vergast.

 

Bertha GemüthBertha Gemüth

geb. 1909, Tochter von Johanna und Otto Gaudig;
1933: Heirat
zunächst organisiert bei den Naturfreunden, dann Mitgliedschaft in der KPD
1943: Verhaftung wegen Nichtanzeige eines „hochverräterischen Unternehmens“, (Reorganisationsversuch der KPD, in den ihre Eltern eingebunden waren)
1944: Verurteilung zu 1 Jahr und 3 Monaten Haft aufgrund schlechter Haftbedingungen: Nerven-, Augen- und Gallenleiden sowie Unterleibserkrankung

 

 

Bekannte Widerstandformen

• der politische Witz
• Verweigerung des Hitlergrußes
• Hilfe für Verfolgte, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen
• Zivilcourage
• Flüsterpropaganda
• Geldsammlungen
• Boykott
• Streiks
• Verrat etc.

Dies sind Widerstandsformen, die sich zum Teil in den Alltag integrieren ließen.

Frauenspezifisch sind u.a. folgende Aktionen:
• Flugblätter im Kinderwagen verstecken u. transportieren
• Lebensmittel und Geld für Verfolgte sammeln
• Boykott der NSV- und DAF-Sammlungen
• Kritik an hohen Lebenshaltungskosten
• Demonstrationen gegen den Abtransport der Ehemänner
• Kurierdienste